Dienstag, 11. Februar 2020

DIE BEDEUTUNG VON FANZINES - EIN INTERVIEW MIT EINEM SAMMLER (erschienen im Bratwurstdealer 300)

Nachdem mich immer mal wieder Leute bezüglich des Interviews in der Jubiläumsausgabe des Bratwurstdealers (erschienen im April 2019) gefragt haben, habe ich mich doch noch entschlossen, eben jenes hier abzudrucken. Gerade auch, weil ich a) hoffe, so noch mal dem ein oder anderen einen "Kick in die richtige Richtung" (sprich zum Kauf und Lesen des ein oder anderen Heftes) geben kann, und ich b) hoffe, dass der eine oder andere von Euch vielleicht das eine oder andere mir fehlende Heft zu Hause rumliegen hat respektive mich bezüglich neuer Hefte (insbesondere die kleiner Gruppen) informieren/versorgen kann.
In diesem Zusammenhang möchte ich mich bei der A LA CANCHA! Redaktion bedanken, die mir - aufgrund meines Aufrufs bei der Rezension ihrer dritten Ausgabe - noch ein Exemplar der mir bis dato fehlenden Erstausgabe organisiert haben!
So, genug der einleitenden Worte - viel Spaß beim Lesen...

Man mag es im Internetzeitalter kaum glauben, doch deutschlandweit gibt es auch im Jahr 2019 noch Menschen, deren Passion es ist, Fanzines zu sammeln. Einige dieser Kandidaten befinden sich in unseren Reihen, viele allerdings leben verstreut im ganzen Land. Über Kontakte konnten wir einen Fanzine-Sammler für ein Interview gewinnen und ihn über sich, seine Passion und seine Sichtweise auf Fanzines ausquetschen. Wir fanden es mehr als angebracht, eine solche Persönlichkeit in der 300. Ausgabe des Bratwurstdealers zu Wort kommen zu lassen, um auch aus externer Sicht noch einmal die Bedeutung von Fanzines in der heutigen Zeit zu unterstreichen. Vielen Dank an Gunnar für die rasche und ausführliche Beantwortung unserer Fragen! Lest Euch seine Antworten ganz genau durch und versucht, zu verstehen, warum es immer noch wichtig ist, dass es Fanzines gibt.
Hallo Gunnar! Vielen Dank, dass Du Dich für ein Interview mit dem Bratwurstdealer bereiterklärt hast. Da Dich vermutlich niemand unserer Leserinnen und Leser kennt, würden wir Dich bitten, Dich kurz vorzustellen. Wer bist Du? Wie alt bist Du? Zu welchem Verein fühlst Du Dich zugehörig und wie lange hast Du überhaupt schon was mit Fußball zu tun?
Hallo in die Runde! Mein Name ist Gunnar, ich bin zweiundvierzig, komme aus der Nähe von München und fühle mich – nein, nicht dem FC Bayern, auch wenn ich mich dem deutschen Rekordmeister und seiner facettenreichen Fanszene sehr verbunden fühle (aufgrund meines Wohnortes und der Tatsache, dass mein dortiges Umfeld zu den „Roten“ ging/geht, habe ich dort Ende der 80er Jahre auch meine ersten „Gehversuche“ unternommen) – dem Verein für Leibesübungen aus Bochum zugehörig. Ich war 1995 Gründungsmitglied der Fantastic Supporters und später auch bei den Ultras Bochum. Bis zur Geburt meiner Tochter anno 2003 war ich einer der Vorsänger der Ostkurve.
Als uns zu Ohren kam, dass Du bereits über 6.000 (!) Fanzines in Deiner Sammlung hast, machten wir große Augen. Wann und wie begann Deine Leidenschaft für Fanzines? Wie lange sammelst Du die Dinger schon und was findest Du an ihnen so besonders?
Wenn ich mich nicht irre, war es in der Saison 1990/1991 oder 1991/1992 als ich hinter der Südkurve des Münchner Olympiastadions auf einen Fanzineverkäufer aufmerksam wurde. Da ich von Natur aus neugierig bin, griff ich einfach mal zu… tja, spätestens auf dem Heimweg (damals reiste man noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln an, und hatte somit genügend Zeit zum Lesen) war klar, dass es nicht bei diesem einen Heft bleiben würde! So richtig los ging es mit dem Sammeln als ich 1994 mein erstes eigenes Fanzine auf den Markt brachte; fortan kamen Woche für Woche Hefte ins Haus geflattert, dem damals regen Tauschverhalten der Fanzinemacher sei Dank! Zu Beginn waren Fanzines die einzige/beste Möglichkeit einen Blick über den eigenen Tellerrand zu werfen - damals gab es nicht unzählige Internetportale, auf denen man mehr oder weniger live vom Kurvengeschehen in Deutschland - geschweige denn in aller Welt- informiert wird. Ich liebe es, wenn ich in meiner Sammlung wühlen kann, und auch mal einen Blick zurück werfen kann… und das in aller Ruhe.
Aus logistischer Sicht ist es eine Meisterleistung, so viele Fanzines zu lagern und aufzubewahren. Wie können wir uns das vorstellen? Hast Du einen eigenen Raum, in dem die Dinger lagern? Stehen alle Fanzines in Regalen oder verschwinden manche in Kisten oder Kartons? Hast Du eine Übersicht, in der Du aufführst, welche Hefte Du bereits hast? Falls ja, wie genau führst Du diese Übersicht?
Ich habe in „meinem Büro“ etliche Schränke und Regale, in denen ich die Hefte aufbewahre. Immer dann, wenn der Platz zur Neige geht, sortiere ich ein paar weniger interessante Fanzines aus. Diese landen dann fein säuberlich in Kisten auf dem Dachboden. Um den Überblick über meine Sammlung zu wahren, wird jedes Heft zeitnah im PC erfasst. Ebenso markiere ich die Hefte, die ich „ausgemistet“ hab, so dass ich jederzeit weiß, wo ich suchen muss.
So viele Fanzines zu erwerben ist sicherlich ein teurer Spaß. Wie beziehst Du Deine Fanzines? Geht das noch über einen Tausch wie in den 1990er und frühen 2000er Jahren? Oder schaust Du Dich auch mal bei Ebay oder anderen Portalen um? Und, zur Hölle, wie viel Geld hast Du in Deinem Leben bereits für Fanzines ausgegeben?
Wie bereits erwähnt, ging es eigentlich so richtig mit dem Tauschen gegen mein Heft los. Heute nutze ich alle zu Verfügung stehenden Kanäle. Angefangen bei Freunden und Bekannten, bis hin zu den einschlägig bekannten Auktionsportalen und virtuellen Tauschbörsen (bei Facebook habe ich mit einem guten Freund – ebenfalls Mitglied der Fantastic Supporters - vor ein paar Jahren die Gruppe „Fußball Fanzines“ gegründet, um weiteren Sammlern ein e Plattform zu bieten, auf der sie tauschen, verkaufen, kaufen und sich austauschen können).
Über Geld sollten wir an dieser Stelle nicht sprechen - ein Kleinwagen wäre aber mit Sicherheit drin gewesen…
Hast Du eigentlich alle der in Deinem Besitz befindlichen Fanzines komplett oder zumindest ausschnittweise gelesen oder wandern einige Exemplare ohne ein einziges Mal geöffnet worden zu sein ins Archiv?
Alle Hefte komplett zu lesen ist natürlich utopisch - früher hab ich das gemacht; da hatte ich aber auch noch keine Kinder und war viel (und zumindest auf der Strecke München-Bochum meist allein) mit dem Zug unterwegs. Heute hab ich ein paar Hefte, die ich regelrecht verschlinge, bei den anderen lese ich was mich interessiert … Aber es gibt definitiv kein Heft, das ungeöffnet ins Archiv wandert!
Wenn Du das perfekte Fanzine beschreiben müsstest: Wie sähe es aus? Welchen Inhalt hätte es? Wie wäre es gelayoutet? Und was wäre der für Dich passende Preis für ein Fanzine?
Eine Frage, die man eigentlich nicht beantworten kann! Zumindest dann nicht, wenn man keine „festgefahrenen Lieblinge“ hat. Ich lese die Hochglanzhefte diverser Gruppen ebenso gerne, wie das Oldschool Fanzine, in dem der Herausgeber seine persönlichen Erlebnisse (mit dem eigenen Verein und/oder von Touren durch die bunte Welt des Fußballs) berichtet. Was ich mir jedoch wünsche sind Hintergrundinformationen und ein „guter“ flüssiger Schreibstil. Ein passender Preis? Na ja, ich bin der Meinung, dass mit der Herausgabe eines Fanzines KEIN Gewinn erzielt werden soll -  ich habe mein(e) Heft(e) immer aus purer Überzeugung gemacht! Insofern muss man halt differenzieren, wie hoch die Auflage ist, ob das Heft schwarz-weiß oder farbig ist, und wie viele Seiten es umfasst…
Du führst den Blog „DER (PF)LÄSTERSTEIN“, was bis 2017 auch der Name Deines eigenen Fanzines gewesen ist. Wie viele Ausgaben hast Du herausgebracht? Was waren die Inhalte Deines Fanzines? Und wie kam es dazu, dass Du Dein eigenes Heft eingestellt hast und nur noch im Internet aktiv bist? Ist das nicht widersprüchlich zur eigentlichen Intention eines Fanzines, nämlich „aus der Kurve für die Kurve“ zu sein und sich damit der web-medialen Welt zu entziehen?
Vom (PF)LÄSTERSTEIN sind bis dato siebzehn Ausgaben (die ersten zehn noch unter dem Namen „Red News“, da - wie eingangs erwähnt - der FC Bayern zu Beginn meiner „Fankariere“ eine gewisse Rolle spielte, und die ersten Mitstreiter halt „Rote“ waren) und eine Sonderausgabe zur Weltmeisterschaft 2006 erschienen. Wirklich eingestellt wurde der (PF)LÄSTERSTEIN eigentlich nie - vielmehr befand ich mich in einer Art „Dornröschenschlaf“, bedingt durch Familie, Arbeit und chronische Unlust, aus dem mich die Arbeiten an meinem Bildband „MOMENTAUFNAHMEN“ erweckt haben. Kurzum, das Feuer brennt wieder! Tja, und so wird demnächst ein rundumerneuerter (PF)LÄSTERSTEIN auf den (glücklicherweise wieder) boomenden Fanzinemarkt geworfen…
Und damit sind wir auch schon bei der Frage mit dem Blog - für mich definitiv kein Ersatz fürs geschriebene Wort; vielmehr eine Ergänzung oder die Möglichkeit ab und an auch das Medium Internet zu nutzen. Für mich persönlich ist nur das geschriebene Wort – ob nun als Fanzine, Kurvenflyer oder Buch – das einzig Wahre, vor allem weil es mehr oder weniger „endlos“ ist, während aus der kurzlebigen Welt des World Wide Web doch vieles einfach wieder verschwindet!
Welche Rolle spielen Fanzines Deiner Meinung nach heutzutage überhaupt noch? Es wurde ja bereits angesprochen, dass das Internet weiterhin wichtiger zu werden scheint. Außerdem übernehmen Instagram-Accounts wie „GruppaOF“ immer mehr das Informationsmonopol, obwohl vieles dort falsch und dummer Blödsinn ist. Heute ist es möglich, innerhalb von fünf Sekunden zu wissen, wie Dresden gerade in Hamburg gezündet hat. Also: Welchen Platz nehmen in diesem Gefüge Fanzines ein? Sterben die Dinger nicht langsam aber sicher aus?
Vielen Dank, dass Ihr meinen Horizont „erweitert“ habt - da ich Instagram bis dato nur sehr spärlich verwende/besuche, war mir „GruppaOF“ natürlich kein Begriff… ;-)
Ich persönlich denke, dass gerade vielen jungen Ultras die Zeit und Muße fehlt, sich mit der Materie Fanzine zu beschäftigen. Auch scheint oft der „Blick über den Tellerrand“ gar nicht mehr gewünscht zu sein… vielleicht interessiert man sich noch für die befreundeten Gruppen, und/oder die - mit welcher Wertung auch immer festgelegten - Krösusse der „Ultrazunft“. Ausnahmen bestätigen hier natürlich die Regel. Vielleicht sollten wir „Alten“ den „Jungen“ die Wichtigkeit der Fanzines und deren Fortbestand besser vermitteln; denn gerade in Fanzines erlauben viele Gruppen tiefere Einblicke in den eigenen Kosmos - ebenso wird man ab und an auch mal zum „Nachdenken“ animiert.
Ich will das Internet und andere „neue Medien“ nicht verteufeln (nutze sie ja für meinen Blog selbst), aber wir sollten uns alle mal wieder zurück zu unseren Wurzeln begeben - früher wurde auch nicht permanent von „Hinz und Kunz“ innerhalb der Kurve (oder Gruppe) fotografiert und/oder gefilmt… Wir sind doch im Stadion, um unseren Verein zu unterstützen - nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Spinnen wir den Faden mal etwas weiter und hören uns „Zukunftsmusik“ an. Wo stehen wir Deiner Meinung nach in zehn Jahren? Wird es dann überhaupt noch Fanzines geben?
Ich hoffe, dass (irgendwann) ein Einlenken bei der breiten Masse (der Fan-/Ultraszene) stattfinden wird, und man einen guten Mittelweg zwischen der „guten alten Zeit“ und dem Hier und Jetzt (respektive dem „Morgen“), mit all seinen neuen Möglichkeiten, findet.
Versteht mich nicht falsch, keiner soll das Rad zurückdrehen - es war früher definitiv nicht alles besser. Aber, und auch das muss so deutlich gesagt werden, momentan läuft mit Sicherheit einiges gehörig schief; und daran sind die neuen Kommunikationsmittel bestimmt nicht ganz unschuldig.
Letztendlich liegt es an jedem Einzelnen, seinen Erhalt für das „geschriebene Wort“ beizutragen. Fraglich nur, ob das allerorten gelingen wird beziehungsweise stellt sich die Frage, ob es überhaupt in allen Szenen/Gruppen gewünscht wird…
Unter deinen rund 6.000 Fanzines befinden sich bestimmt Stücke, die selten oder nur schwer zu bekommen sind. Was sind für Dich die Exemplare Deiner Sammlung, die für Dich am meisten besonders sind? Und kommen Deine Fanzines nur aus Deutschland oder auch aus dem Ausland? Wenn ja, woher stammen sie?
Schwer zu bekommen sind leider etliche Fanzines - in den letzten Jahren hat sich die Zahl der Hefte zunehmend gemehrt, die nur (noch) innerhalb der eigenen Fanszene respektive eines erlesenen Kreises „vertrieben“ werden. Da ich über ein ganz gutes Netzwerk (zum Teil von früher, zum Teil durch die gemeinsame Sammelleidenschaft entstanden) verfüge, tue ich mich da vergleichsweise leicht. Schwierig ist es „alte“ Lücken zu schließen. Meine persönlichen Highlights sind unter anderem die alten Hefte aus Bochum und München, sowie erste Groundhoppinghefte (ein HSV-/Groundhoppingfanzine namens „WATZ“ ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich meinen Horizont bzgl. Groundhopping ziemlich früh erweitern wollte. Unglaublich, was der/die Macher damals schon für Touren gemacht haben); aber es gibt auch viele aktuelle Fanzines, die ich richtig geil finde! Neben deutschsprachigen Fanzines (also aus Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz) hab ich vornehmlich Hefte aus Italien (neben dem Supertifo und Fan’s Magazine auch etliche Fanzines aus den unterschiedlichsten Kurven Italiens), England (gerade in den Anfangsjahren weilte ich regelmäßig auf der Insel – bei Besuchen in London gehörte immer ein Besuch des legendären „Sportspages“ zum Pflichtprogramm; meist wog der Rucksack danach eine gefühlte Tonne) und Polen. Aber auch Fanzines aus Portugal, Spanien, Frankreich, Tschechien, Ungarn, Russland und anderen Ländern haben den Weg schon in meine Sammlung gefunden.
Wie sieht es aus: Kannst Du uns Deine aktuelle Top 5 der Fanzines in der Bundesrepublik benennen?
Puh - vor dieser Frage hab ich mich gefürchtet! Ich nenn jetzt einfach mal fünf Hefte aus dem „Bauch“ raus; langes Nachdenken würde es nur noch komplizierter machen… Kaventsmann, Gegen den Strom, Drönbütel, Der Daggl und La Cosa Nostra
Wenn Du über Fanzines aus Jena nachdenkst, was kommt Dir da in den Sinn? Bist Du ein regelmäßiger Bratwurstdealer-Leser? Erreichten Dich sonst noch andere Hefte aus der Fanszene des FC Carl Zeiss Jena?
Der Aufsteiger… Die dicken Kinder aus Jena… FCC-Report Berlin (gab es glaub ich nur eine Ausgabe – ist mir lustigerweise vor ein paar Wochen mal wieder in die Finger gekommen)… und natürlich Euer Bratwurstdealer, den ich mehr oder weniger nur als Sammelbände in meiner Sammlung habe. Wo wir gerade dabei sind – von den Sammelbänden fehlen noch „Hinrunde 2009/10“, Hinrunde 2010/11“, „Rückrunde 2013/14“ und  (wieso auch immer ) „Rückrunde 2017/18“ – vielleicht könnt Ihr oder der eine oder andere Leser Eurer Postille ja helfen , diese Lücken zu schließen…
Gunnar, wir danken Dir für die Chance, dieses Interview mit Dir zu führen. Die letzten Worte gehören Dir.
Nichts zu danken – hat echt Spaß gemacht.
Eine Bitte hab ich an Eure Leser… Sollte jemand (alte) Fanzines rumliegen haben, die er nicht mehr braucht – bitte bei mir melden (hielcher.der_pflasterstein@t-online.de); vielleicht ist ja ein weiteres Puzzlestück zur „Vervollständigung“ meiner Sammlung dabei!