Montag, 20. November 2017

Norditalien im Frühjahr 1997...

Just in diesen Tagen wünsche ich mich gerne in die Vergangenheit zurück... keine Ausgliederung, kein trister Abstiegskampf in Liga zwei...
Aus einer Zeit, in der sich unser geliebter VfL Bochum 1848 e.V. aufmachte, um das erste Ticket nach Europa zu lösen, zog es etliche Ultras der "ersten Generation" des Öfteren über den Brenner, um das bunte Treiben der italienischen Ultras aufzusaugen.
Ich gebe hier mal den in Ausgabe acht des (PF)LÄSTERSTEIN-Vorgängers RED NEWS erschienenen Tourbericht unverändert zum Besten:
 
24. Spieltag Serie B Italien am 08.03.1997
Stadio Euganeo Padova
AC Padova vs. US Cremonese 2:2
 
Da sich Herr Knispel für diese Woche bei mir angekündigt hatte, einigte man sich relativ schnell darauf, mal wieder nach Italien zu fahren, das "Calcio" Fieber hatte erneut zugeschlagen. So beschlossen wir die Spiele Padova - Cremonese, Bergamo - Sampdoria, sowie Inter - Juve mit unserer Anwesenheit zu beglücken.
Nachdem ich den Bochumer vom Münchner Hauptbahnhof abgeholt hatte, schafften wir uns, in Form eines ausgiebigen Frühstücks, erst einmal eine gute Grundlage für die bevorstehende Tour, ehe wir uns über den Brenner auf den Weg nach bella Italia machten... Um kurz nach halb vier hatten wir die Stadtgrenzen Padovas erreicht, und nach einer ersten Besichtigung des Stadions, in dem gerade noch der Raden gemäht wurde, machten wir uns auf den Weg in die Innenstadt, um ein Quartier für die Nacht klarzumachen. Nach einer fast zweistündigen Odyssee brach man, kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehend, dieses Unterfangen erfolglos ab. Aber wenigstens hatte man so ein wenig von der schönen Altstadt gesehen. Zurück am Stadion holten wir erst einmal unsere bestellten Karten ab, und nach einer kleinen Stadionrunde betraten wir das Stadio Euganeo, das aus zwei doppelstöckigen Tribünen auf beiden Geraden, wovon eine überdacht ist, und einer einstöckigen Tribüne hinter dem einen Tor, die für die Gästefans reserviert ist, besteht. Herrschte anfangs noch gähnende Leere im 25.000 Zuschauer fassenden Ground, so dürften es beim Einlaufen der beiden Mannschaften doch knapp 11.000 Tifosi, darunter gerade mal eine Busbesatzung aus Cremona, die erst Minuten vor dem Spiel eintraf, gewesen sein. Beide Seiten hantierten mit ein paar Bengalen und großen Schwenkfahnen, was zwar ein gutes Bild abgab, eine aber nicht vom Hocker... äh... Sitzplatz riss. In einem überaus schwachen Spiel gingen die Gastgeber zweimal in Führung, doch die überschwängliche Freude auf den Rängen war jeweils nicht von langer Dauer, und so dürften sich am Ende nur die Gäste über den Punkt gegen den drohenden Abstieg freuen, was deren Ultras auch mit reichlich Pyromaterial zu feiern wussten. Wir hingegen machten uns auf die Suche nach einer Pizzeria, meldeten sich unsere Mägen mittlerweile recht deutlich zu Wort. Fündig wurden wir unweit des Stadions, wo mir die größte Pizza meines Lebens serviert wurde. Leute, das Teil hing auf jeder Seite des Tellers bestimmt zehn Zentimeter herunter! Anschließend machten wir uns auf den Weg in Richtung Bergamo, wo wir kurz vor Verona auf einem Rastplatz beschlossen, das Hotel Opelino zu beziehen...

23. Spieltag Serie A Italien am 09.03.1997
Stadio Comunale Bergamo
Atalanta Bergamo vs. Sampdoria Genova 4:0
 
Die Nacht überstand man halbwegs gut, und nach kurzer Körperpflege ging es weiter nach Bergamo, wo wir bereits um kurz nach zehn Uhr unser Auto vor dem Stadio Comunale parkten, Hier waren gerade einige Ultras damit beschäftigt ihre Fahnen in schwindelerregender Höhe aufzuhängen, und dass über vier Stunden vor dem Anstoß. Uns zog es dann in die Innenstadt, neigte sich unser Lirevorrat doch beachtlich dem Ende zu. Aber anscheinend ist es in der Weltstadt Bergamo nicht möglich, am Sonntag auch nur eine Wechselmöglichkeit auszumachen. Wenigstens führte uns die Suche auch in die wunderschöne Altstadt, die etwas oberhalb auf einem Hügel liegt. Sollten euch eure Wege auch mal nach Bergamo führen, kann ich euch einen Abstecher dorthin nur empfehlen... Wir aber machten uns leicht gefrustet auf den Rückweg zum Stadion, wo wir uns Karten für die Curva Sud besorgten. Bereits eineinhalb Stunden vor dem Kick Off betraten wir das Stadio Comunale, das aus zwei überdachten Tribünen, sowie zwei unüberdachten Kurven besteht, schließlich wollten wir noch einen guten Fotoplatz, in Hoffnung auf eine gute Show der beiden Ultragruppen, ergattern. Dies sollte sich auch lohnen, veranstalteten die Atalanta Ultras doch eine echt gelungene Pyroshow, indem sie mit verschiedenfarbigen Nebeltöpfen hantierten, was die halbe Kurve in ein Farbenmeer verwandelte. Die gut 1.500 Doria Tifosi waren lediglich am Schwenken ihrer zahlreichen Fahnen, erstaunlicherweise brannte nicht einmal eine einzige Bengale. Der Support auf beiden Seiten war heute aller erste Sahne, wobei man von den Ultras Tito Cucchiaroni einfach den Hut ziehen muss, sangen und hüpften sich doch trotz des klaren Rückstandes das ganze Spiel über nonstop. Für deutsche Verhältnisse einfach unfassbar! Zu Beginn der zweiten Halbzeit verschwand die Curva Nord unter einer riesigen schwarz-blau-gestreiften Fahne, was meinen Fotoapparat erneut zu Höchstleistungen zwang. Mit dem Schlusspfiff verließen wir den Ground, was aber schon zu spät war, wie sich nun herausstellte. Für die fünf Kilometer bis zur Autobahn benötigten wir eine geschlagene Stunde, was uns jetzt natürlich unter Zeitdruck setzte, schließlich mussten wir noch Geld wechseln, sowie Karten fürs Abendspiel Inter vs. Juve besorgen. Das Geldproblem konnte dank EC-Karte ad acta gelegt werden, aber das zweite Problem sollte sich als sehr schwerwiegend herausstellen, gab es offiziell nur noch Karten für 160.000 Lire aufwärts, und auch auf dem Schwarzmarkt sah die Lage nicht besser aus. Nach langem Überlegen entschlossen wir uns aufgrund der finanziell angespannten Situation das Spiel zu streichen, und uns auf den Weg 'gen Heimat zu machen, was besonders meinem Begleiter schwer fiel, war er doch noch nie in diesem Fußballtempel. Die Rückfahrt ging dann an die Grenze meiner Belastbarkeit, und so musste ich ab Bozen alle hundert Kilometer eine zwanzigminütige Pause einlegen, fielen mir doch permanent die Augen zu. Um kurz nach fünf nahm unsere Tour dann endlich ihr Ende, und so hatte ich doch tatsächlich noch zwei Stunden Schlaf, ehe es in die Arbeit ging...
 
Wenn ich das heute so lese, muss ich doch arg schmunzeln - nicht nur ob des teils recht skurrilen Satzbaus und der Tatsache, dass wir tatsächlich wegen 75.000 Lire (in etwa 38 Euro) auf das Derby d'Italia verzichtet hatten (später sollte ich noch das ein oder andere Mal in den Genuss dieser Begegnung kommen), sondern vielmehr über die seinerzeit noch vorherrschende Unkenntnis (na ja, ein klein wenig Ahnung hatten wir dank des Supertifo und vorheriger Besuche ja schon, aber wenn ich das mit heute vergleiche) hinsichtlich der italienischen Ultraszene.
Ach ja, am darauffolgenden Dienstag siegte unser VfL übrigens - unterstützt von knapp dreihundert Gästen - beim Karlsruher SC, am Mittwoch weilten wir mit einem Mitglied der Dachau City (diese hatten uns bereits am Vortag mit zwei Leuten in Karlsruhe unterstützt) beim Spiel des SV Casino Salzburg gegen den FC Linz im alt-ehrwürdigen Stadion Lehen. Beide Seiten legten einen (für die damalige Zeit) astreinen Auftritt aufs Parkett. Nach dem Spiel verteilten die Linzer an den Salzburger Nachwuchs noch ein paar gscheide Watschn...

Hier noch ein paar Fotos zu den beiden Spielen aus Italien, die übrigens auch in meinem Buch "Momentaufnahmen" zu finden sind: